China – Konzertreise nach Shanghai und Hangzhou
Spielmanns- und Fanfarenzug Erolzheim auf Konzerttournee in China.
Als der Erolzheimer Spielmannszug am Faschingsdienstag vergangenen Jahres schon traditionell am Stuttgarter Fasnets-Umzug teilnahm, und dabei der Abteilungsleiter von einer asiatisch aussehenden Dame aus dem Publikum angesprochen und zu Konzertauftritten nach Shanghai eingeladen wurde, glaubte niemand von den Verantwortlichen so recht, dass daraus ernsthaft etwas werden könnte. Auch als sich besagte Dame, eine Frau Kong, tatsächlich am nächsten Tag telefonisch meldete und ihre Einladung für den Herbst des gleichen Jahres wiederholte, war die Geschichte schnell abgehakt, da man ja „leider“ wegen der schon geplanten Fahrt nach Elba für dieses Jahr absagen musste. Erst als im Sommer eine Email eintraf mit einer Einladung für 2005, machte man sich beim Erolzheimer Musikverein ernsthaft Gedanken über eine Fahrt im Herbst diesen Jahres.
Es ging dann alles sehr schnell, die Liste der Mitfahrer füllte sich zügig, Frau Kong wartete schon am Faschingsdienstag 2005 in Stuttgart auf die Erolzheimer Musikanten, und im März traf dann per FAX die offizielle Einladung des Festkomittees aus Shanghai ein. Ernsthaft in Gefahr geriet das Unternehmen Chinareise noch einmal, als der Klapperstorch aus unerfindlichen Gründen bei Tambourmajor und seinem Stellvertreter, beide frisch verheiratet, den Geburtstermin für das erste Baby ausgerechnet in den Zeitraum der Reise verlegt hatte. Beide Väter in spe zogen es vor, dann doch lieber bei ihren Frauen zu bleiben. Man fand schließlich in Richard Reichert einen Ersatz-Tambour, selbst viele Jahre Musikant im Spielmannszug – als Mitglied der Theatergruppe – mit der nötigen Bühnenerfahrung.
Mitte Oktober war es dann soweit. Der Erolzheimer Spielmanns- und Fanfarenzug, verstärkt durch einige auswärtige Musikanten, trat die lange Reise ins unbekannte Reich der Mitte an. Die Aufregung und die gemischten Gefühle vor dem Unbekannten legten sich nach der Ankunft in Shanghai schnell, als freundliche junge Damen die Musikanten aus Schwaben empfingen und für die Dauer des Aufenthalts nicht mehr von ihrer Seite wichen, was von allen wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde.
Die Erolzheimer wurden in einem großen Hotel mitten in der 16-Millionenstadt einquartiert und dann zu einer abendlichen Bootsfahrt auf dem Huang Pu Fluß eingeladen, der den „Bund“, die berühmte Uferpromenade der Altstadt, vom Neubauviertel Pudong mit seiner ebenso berühmten Skyline trennt. Es gibt wohl keine bessere Möglichkeit, einen ersten Eindruck von dieser unglaublichen Metropole zu gewinnen: grell in allen Farben beleuchtete Wolkenkratzer von einer extravaganten Architektur, soweit das Auge reicht. Mit auf dem Boot waren eine Guggenmusik aus der Schweiz und eine schottische Dudelsack-Kapelle, die im gleichen Hotel wohnten und die auch alle Auftritte der Erolzheimer begleiten sollten, europäische Folklore im Dreierpack sozusagen.
Der nächste Tag war der einzige ohne Auftrittverpflichtung und diente dem weiteren Kennenlernen der Stadt. Wer wollte, konnte mit dem Bus zum Yu-Garten fahren, dem alten Geschäftsviertel mit seinen historischen Teehäusern und seiner Fengshui-Gartenarchitektur aus dem 16.Jahrhundert.
Berühmt ist die Zick-zack-Brücke mit ihren 9 Biegungen, die böse Geister, die ja bekanntlich nur geradeaus gehen können, abhalten soll. Zum touristischen Pflichtprogramm gehörte noch ein Besuch der Boomtown Pudong mit dem Blick vom Fernsehturm (468 m) oder vom Jinmao-Building ( 420 m ).
Der Tag darauf stand ganz im Zeichen der Eröffnung des 7.Shanghai International Arts Festival, einem Festival mit vielseitigem Kulturprogramm, an dem hochkarätige Gruppen aus aller Welt in den Sparten Musik, Tanz, Malerei und Theater teilnehmen. Zum Rahmenprogramm des von privaten Sponsoren getragenen Festivals gehören neben Eröffnungs- und Schlussveranstaltung tägliche Werbeveranstaltungen in der Innenstadt und den Außenbezirken, die die Öffentlichkeit auf das Hauptprogramm hinweisen sollen. Entsprechend medien-wirksam waren diese Programme, an denen auch die Erolzheimer, die Schweizer und die Schotten mitwirkten.
Täglich wurde also auf einer öffentlichen Bühne musiziert, ebenso bei vielen Sponsoren, die sich anschließend mit einem Essen revanchierten. Die Hauptniederlassung von Audi-VW für China gehörte ebenso dazu wie eine Eliteschule und das Geschäftsviertel im Yu-Garten.
Nach fünf Tagen Shanghai wurden die Musikanten, zu denen sich noch eine Folklore-Tanzgruppe aus Frankreich gesellt hatte, nach Hangzhou umquartiert, einer 6-Millionenstadt ca 200 km südlich von Shanghai. Dort wurde der Westlake Carneval gefeiert, ein unglaubliches Spektakel mit Böllerschüssen jeden Morgen ab 6 Uhr und abendlichem Feuerwerk. Die Eröffnungsveranstaltung übertraf alles, was die Musikanten bisher erlebt hatten. Über 80 Gruppen aus aller Welt und zahlreiche sehr phantasievoll und farbenprächtig geschmückte Wagen zogen im Stadtzentrum an mehr als 300 000 begeisterten Zuschauern vorüber. Im Mittelpunkt stand eine riesige Ehren-tribüne mit Politfunktionären und Ehrengästen, vor denen alle Mitwirkenden ihren Kotau machten (außer den Erolzheimern selbstverständlich!). Das sozialistische System ist halt doch noch nicht ganz überwunden.
Am Nachmittag stand eine Bootsfahrt auf dem Westlake auf dem Programm. Der See mit seinen Inseln, Deichen und Pavillons ist ein Hauptanziehungspunkt für alle Besucher. Angelegt und gestaltet wurde er von 2 berühmten Dichtern im 8. und im 11.Jahrhundert. Viele Chinesen waren mit Fahrrädern unterwegs, wanderten um den See oder ruderten in kleinen Booten in die zahlreichen Buchten. Beeindruckend sind drei Pagoden, die von einem Herrscher der Tang-Zeit auf den Grund des Sees gebaut wurden und von denen nur die Spitzen über die Wasseroberfläche ragen. Niemand kann heute den Grund für diese nicht alltägliche Baumethode erklären.
Es folgten noch ein musikalischer Auftritt auf einer Freilichtbühne in Hangzhou und schließlich der letzte in Fuyang, einem ländlichen Vorort mit einem historischen Dorfkern, den die Musikanten mit einer Führung näher kennenlernten. Der letzte Auftritt in diesem alten historischen Ambiente, an dem wieder die Schotten, eine neue Stuttgarter Guggenmusik, die französische Folkloretruppe und einheimische Tänzerinnen in farbenfrohen Kostümen mitwirkten, hatte eine eigentümliche, fast melancholische Stimmung.
Er gipfelte schließlich in einer Polonaise rund um den historischen Dorfplatz, an dem alle teilnahmen, Chinesen und Deutsche, Schotten und Franzosen. Und manche alte chinesische Bäuerin, die ganz erstaunt dieses seltsame Treiben beobachtete, konnte sich ein verstohlenes Kopfschütteln nicht verkneifen.
Der letzte Tag in China wurde von den Musikanten dazu genutzt, Mitbringsel einzukaufen. Jeder fuhr mit den sehr preiswerten Taxis in die verschiedenen Shoppingcenter der Innenstadt, um die letzten Yuan loszuwerden. Abends stieg das endgültig letzte Abschiedsessen mit prominenter Beteiligung.
Wie beim Spielmannszug üblich, wurden in kabarettistischen Einlagen und Sketchen die Ereignisse der vergangenen Tage noch einmal aufgearbeitet. Die anderen Gruppen wollten nicht nachstehen und vor allem die Schotten und die Französinnen sorgten mit ihren Beiträgen für eine immer ausgelassenere Stimmung. Besonders beliebt bei allen waren schottische Tänze, bei denen sich alle Beteiligten rasch näher kamen. Auch die chinesischen Offiziellen verloren allmählich ihre Zurückhaltung. Der Chef des Hangzhou Carnevals forderte sein ganzes Team auf, mit den Spielmannszüglern auf Brüderschaft diverse Biergläser zu leeren, um die gute deutsch-chinesische Freundschaft zu festigen. Dabei kam er aus dem schadenfrohen Kichern über die zunehmende Sprach- und Stehunsicherheit seiner Untergebenen nicht mehr heraus. Das Lachen vergeht ihm aber schnell, als der trinkfeste Tambourmajor plötzlich mit von Landrat Schneider gestifteten Gastgeschenken auftauchte, zwei Halbliter-Bierkrügen voll chinesischen Bieres in den Händen und den Herrn Minister zur Biermensur forderte. Der Verlegenheitsdirigent der Spielleute aus Erolzheim krönte seine gute Leistung während der Tage in China: nach wenigen Zügen war sein Krug leer und wurde demonstrativ auf dem Kopf abgestellt, sehr zur Freude aller Anwesenden.
Neben der chinesisch-deutschen kam es auch zur deutsch-schottischen Verbrüderung, die allerdings deutlich mehr Trinkeinsatz forderte, da die Schotten in dieser Disziplin nur schwer zu schlagen sind. Ihren Besuch in Erolzheim zum Heimatfest 2007 haben die Edinburger fest zugesagt.
Der Abreisetag verlangte von den Spielleuten viel Haltung. Ihre chinesischen Betreuerinnen verabschiedeten sich tränenreich wie schon zuvor in Shanghai.
Es wurden Email-Adressen getauscht und baldiges Wiederkommen versprochen. Schließlich landeten alle wohlbehalten in aller Frühe auf dem Münchner Flughafen.
Die Busfahrt nach Erolzheim zeigte, während langsam die Sonne aufging, mit seiner gelösten Stimmung, dass alle doch froh waren, wieder zuhause zu sein. In lauten Sprechgesängen bedankten sich alle Mitfahrer bei Abteilungsleiter Helmut Winter für die hervorragende Organisation dieser Fahrt, die weit über das normale Maß hinausgehende Anforderungen gestellt hatte. Im Musikerheim in Erolzheim wartete schon ein Weißwurstfrühstück, es gab unendlich viel zu erzählen.
Übrigens: Die erste Gruß-Email von unseren neuen chinesischen Freunden mit Fotos vom Abschiedsauftritt war bereits vor der Ankunft der Musikanten in Erolzheim eingetroffen.